Rückblick

Ein Tag der Zukünfte

Zu Besuch im Futurium und in den neuen Prinzessinnengärten in Berlin


W
ie wollen oder werden wir leben? Wie wird die Zukunft aussehen und welche Entwicklungen zeichnen sich heute bereits ab? Welche Herausforderungen werden wir zu bewältigen haben und welche Rolle spielt die Idee einer nachhaltigen Entwicklung dabei? Diesen und weiteren Fragen wollten wir auf unserer eintägigen Exkursion nach Berlin gemeinsam mit den Teilnehmer:innen nachgehen. Unsere Reise sollte uns an Orte führen, die die Kraft besitzen, auf sehr unterschiedliche Art und Weise Zukunftsbilder zu vermitteln und zur gemeinsamen Gestaltung von Zukunft einzuladen. Ein Rückblick auf die Exkursion ins Futurium und die (neuen) Pinzessinnengärten Berlin.


Futurium - Haus der Zukünfte


Wie und in welchem Tempo verändert sich unsere Welt? Wie gehen wir mit dem steigenden Energie- und Rohstoffbedarf einer wachsenden Weltbevölkerung um - auch und vor allem angesichts der Herausforderungen des Klimawandels und des drohenden Überschreitens der planetaren Belastungsgrenzen ? Wie könnten unsere Städte und Gebäude aussehen? Welche Technologien werden wir nutzen und wie werden sie unser Dasein prägen?
Das Futurium lädt seit 2019 BesucherInnen zu einer gemeinsamen Zeitreise ein, um sich diesen und weiteren Zukunftsfragen zu widmen. Anschaulich und kreativ eröffnet die interaktive Ausstellung Einblicke in mögliche Zukünfte. Die Kurator:innen des Hauses wählen bewusst den Begriff "Zukünfte", weil sich keine eindeutige Entwicklungslinie in die "eine" Zukunft denken lässt. Die Zukunft ist offen für vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten. Zentrale Herausforderung und Technologien, die Problemlösungen liefern sollen, erschaffen lediglich einen breiten Zukunftskorridor, in dem wir uns gestaltend bewegen können, wenn wir die richtigen Fragen stellen und Ziele aushandeln, die wir heute als (Welt-)Gemeinschaft verfolgen. Zukunftsfähigkeit sollte hier sicherlich eine der zentralen Querschnittsqualitäten aller Entwicklungen und Ziele sein.

Zukunft denken lernen als Bildungsauftrag

Das Futurium, das zum größten Teil durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, will Zukunftsbilder vermitteln, die uns zum Nachdenken und zum Diskutieren anregen sollen. Neben sich beständig wandelnden Ausstellungsbereichen, bietet das Haus ein breites Programm an Veranstaltungen, Vermittlungsformaten oder Bildungsmaterialien für Schüler:innen, Jugendliche und Erwachsene an. Ziel ist die aktive Auseinandersetzung mit der Idee von Zukunft, die hier und jetzt als beständige Veränderung unserer Gegenwart beginnt und die bis in die utopischen oder dystopischen Fiktionen einer noch fernen Entwicklung der Menscheit reicht.
Wir haben Arum Sara Bang aus dem Futurium-Team für Bildung und Partizipation getroffen, die uns etwas zur Geschichte des Hauses, zum Vermittlungsanspruch und zu verschiedenen Bildungsmaterialien erzählte. Dazu gehören auch die Zukunftsboxen für SchülerInnen, die das Futurium gemeinsam mit dem Education Innovation Lab entwickelt hat. Die Themen und Inhalte der Boxen basieren auf den Methoden der Zukunftsforschung, der Bildung für nachhaltige Entwicklung und dem Design Thinking. Bisher gibt es die Boxen zu den Themen Städte, Ernährung, Energie, Arbeit und Gesundheit. Weitere Themen sind in Planung.

Die große Beschleunigung
Innovationen, Vernetzung und Beschleunigungen

Wir lassen uns von einer Mitarbeiterin des Hauses durch die Ausstellung führen und wollen dabei auch nach den zentralen Verbindungen zu aktuellen Herausforderungen für eine nachhaltige Entwicklung suchen. Welche Perspektiven nimmt das Haus mit seiner Auswahl an Objekten und Informationen ein hinsichtlich der zentralen Fragestellung: Wie wollen wir leben? Wie bildet man die wachsende Komplexität unserer Gegenwart ab, um eine treffendes Bild von Entwicklung und Zukünften zu zeichnen? Die Welt dreht sich schließlich immer schneller und produziert beständig neues Wissen, neue Fragen, Probleme und Möglichkeiten. Wie lässt sich etwas sinnvoll über unsere Zukunft sagen, wenn das Maß an Unbestimmtheit und Zukunftsoffenheit täglich wächst?
Die Ausstellung eröffnet ihren Rundgang zunächst mit einem Zeitstrahl, auf dem die Beschleunigung des technischen Fortschritts abgebildet ist, der unsere heutige Welt maßgeblich geprägt hat. Immer mehr Innovationen werden in immer kürzeren Zeiträumen hervorgebracht. Eine Innovation beeinflusst in einem immer dichter werdenden Netzwerk von Verbindungen neue Entwicklungen und regt Fortschritte in anderen Bereichen unseres Lebens an.
In den drei Ausstellungsbereichen "Mensch", "Natur" und "Technik" können die Besucher:innen erkunden, wie wir als Konsument:innen ticken, wie wir unsere Städte anders denken, wie wir mit dem wachsenden Bedarf nach Energie und Rohstoffen umgehen, an welchen neuen Materialien für welche alten und neuen Anwendungen gearbeitet wird oder welchen Herausforderungen und Entwicklungen wir in der Gentechnik, den Computerwissenschaften, der Robotik und der Künstlichen Intelligenz begegnen.


Was ist Zukunft?

Die Futurium-Ausstellung beeindruckt durch ihre spannende Auswahl an Exponaten und die ästhetische und didaktisch gute Aufbereitung der Inhalte, die auch eine kritische Auseinandersetzung mit technischen und sozialen Entwicklungen ermöglichen. Die BesucherInnen erfahren Entwicklung als dynamisches System von Wechselwirkungen aus technischer Innovation und sozialer Auseinandersetzung. Ein Besuch trägt definitiv dazu bei, die Welt und vor allem auch aktuelle Zukunftsdebatten besser zu verstehen. Zukunft, über die unsere Gesellschaft spricht und die wir uns ausmalen, ist das Ergebnis unseres kontinuierlichen Umgangs mit Gegenwartsherausforderungen. Zukunftsbilder und -erwartungen sind vielfältig und reflektieren unser Vertrauen in die Fähigkeiten mit Problemen heute und morgen umgehen zu können. Zukunftsoffenheit ist eine Funktion dieser Fähigkeiten.
Aufgrund der Anziehungskraft starker Technikbilder bleibt der Bezug zu den persönlichen Zukunftserwartungen der Menschen und zu den wichtigen sozialen Fragen, die mit einer nachhaltigen Entwicklung eng verbunden sind, dennoch etwas unterbestimmt. Was machen die technologischen Innovationen tatsächlich besser und für wen? Inwiefern tragen diese Innovationen dazu bei, globale soziale Ungleichheit zu reduzieren und soziale Gerechtigkeit zu befördern? Könnten wir nicht auch unser Verhalten und unsere wirtschaftlichen Regeln der Wohlstandsproduktion neu denken, um Probleme, für die wir technische Lösungen suchen, bereits im Ansatz durch bessere soziale Regelung zu vermeiden? Nicht immer ist klar, ob der spezielle Fokus auf technologische Innovationen eher den gesellschaftspolitischen Status Quo festigt und den Blick auf strukturelle Zwänge und Hindernisse oder auf alternative gesellschaftliche Ordnungen verdeckt. Demnach würde die Ausgangsfragestellung "Wie wollen wir leben" vielmehr als rhetorischer Platzhalter verstanden, der stillschweigend schlussfolgert, dass wir auch morgen so leben wollen wie wir heute leben. Hier kommt es dann allerdings darauf an, wer die Frage stellen darf und wer sie beantwortet.


Prinzessinnengärten - Ein Labor für sozial-ökologische Stadtentwicklung


Im zweiten Teil unserer Tour besuchen wir den "neuen" Berliner Prinzessinnengarten auf dem Neuen St. Jacobi Friedhof in Neukölln. Der Ortswechsel vom Futurium in den Gemeinschaftsgarten verlangt von uns etwas Gewöhnung an sehr verschiedene Perspektiven auf die Welt heute und morgen. Nicht ferne Zukunftsbilder, die sich aus unserer Gegenwart verlängern, sondern aktuelle soziale und ökologische Praxis mit dem Ziel der zukunftsfähigen Selbstorganisation stehen jetzt im Mittelpunkt. Da sind die Leute aus dem Quartier, Nachbar:innen, Aktivist:innen und natürlich Gärtner:innen, die sich der ehrenamtlichen Aufgabe widmen, Teile eines großen Stücks Stadtgrün von 7,5 ha für eine naturnahe und nachbarschaftlich inklusive Nutzung zu erschließen. Nachdem der Prinzessinnengarten seit 2009 auf einer großen Brachfläche am Moritzplatz in Kreuzberg bereits die Tore für die Öffentlichkeit geöffnet hatte, entwickelt das Prinzessinnengärten Kollektiv Berlin am neuen Standort nun seit 2019 den Gemeinschaftsgarten.

Grünen Stadtraum durch Nutzung erhalten

Die Möglichkeit, eine so große Grünfläche im so knappen und hart umkämpften Stadtraum zu beziehen, ergibt sich aus der Geschichte des Ortes. Durch den Wandel der Bestattungskultur und der Siedlungsdynamik der Bevölkerung werden auf dem Neuen St. Jacobi Friedhof seit 2016 keine Bestattungen mehr durchgeführt. Die Friedhofs- und Parkflächen sind aber aufgrund ihrer Vergangenheit vor bestimmten Nutzungen geschützt, so dass der Erhalt durch neue, passende Nutzungsformen gewährleistet werden muss. Die Etablierung eines Gemeinschaftsgartens wird daher seit 2018 mit Unterstützung des Berliner Programms für Nachhaltige Entwicklung (BENE) erprobt.
Der neue Standort des Gemeinschaftsgartens bietet anders als die Brachfläche am Moritzplatz auch die Möglichkeit, offenen Boden für den Anbau von Pflanzen zu nutzen. Das Potential zum Gärtnern erweitert sich damit erheblich. Auf dem weitläufigen Areal finden sich ein Gartenladen und ein Gartencafé, eine Fläche für Hochbeetkulturen und eine für Umweltbildungsangebote. Im hinteren Bereich der Parkanlage liegen die offenen Beete, die auch im Spätsommer noch mit reichlich frischem Grün bewachsen sind. Auf dem Gelände stehen außerdem Bienenbeuten für die lokale Honigproduktion. Die Aktivitäten des Prinzessinnengärten-Kollektivs haben sich im Laufe der Jahre beständig erweitert und professionalisiert. So bietet ein Team des Gemeinschaftsgartens Gartenbaudienstleistungen im Stadtgebiet für Schulen, soziale Einrichtungen oder Firmen an. Ebenso etablierte sich bereits früh eine kleine Staudengärtnerei. Die Herausforderung für die Gärtner:innen ist es, den speziellen Ort "Friedhof" behutsam nach den Bedürfnissen verschiedener Gruppen gemeinsam und selbsorganisiert zu entwickeln, so dass dieser auch als grüner und öffentlicher Ort im Stadtraum erhalten bleibt. Das Prinzessinnengärten-Kollektiv leistet - wie auch andere Gemeinschaftsgartenprojekte - einen wichtigen Beitrag dafür, den urbanen Raum für die gemeinschaftliche und unkommerzielle Nutzung verfügbar zu halten und neue Formen des demokratischen miteinander Lebens und Wirtschaftens anzustoßen, die in der Welt des Privateigentums an städtischem Grund und Boden nicht möglich wären. Die Gemeinschaftsgärten schaffen Orte, an denen gesellschaftlicher Austausch auf Augenhöhe stattfinden kann und gesellschaftlicher Wohlstand ökologisch verträglich generiert und geteilt werden kann. Ein aktiver Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung im Praxislabor Gemeinschaftsgarten im Quartier.



Die komplette Veranstaltung (einschließlich Bahnfahrt) wurde gefördert von der Sächsischen Landesstiftung Natur und Umwelt. Diese Maßnahme wurde mitfinanziert mit Steuermitteln auf Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushaltes.

Diese Veranstaltung wird organisiert von Zukunftsgestalten e. V.


verfasst am 06.07.2021 von Annika